Litthauischer Ersatz.

Militär-Humoreske von M. v. Hartung
in: „Münsterischer Anzeiger” vom 29.1.1899


Wer jemals die Ehre gehabt hat, litthauische Rekruten zu exerzieren, der hat einen kleinen Vorgeschmack der Hölle bekommen; wer aber gar mit der Instruktion derselben betraut gewesen ist, der hat den Ort,„in dem sich Phantasie zu eigner Qual verdammt”, gründlich kennen gelernt. Nicht etwa, als ob die Litthauer schlechte Soldaten wären, im Gegentheil, wenn die großen Schwierigkeiten erst einmal überwunden sind, welche dem Instruktionsoffizier die Unbekanntschaft mit der litthauischen Sprache, die Nothwendigkeit, sich stets eines Dolmetscheis zu bedienen, verursacht, bilden die Litthauer ein Material, das sich jedem andern ebenbürtig an die Seite stellen kann. Außerordentlich dienstwillig sind sie auch. Als mein Wisniencski, den ich unmittelbar nach dem Feldzuge aus den Ersatzmannschaften zu meinem Burschen gewählt hatte, eines Tages das Essen aus dem Casino holte, und ich ihm einen gelinden Vorwurf machte, daß er mir einen nicht ganz reinlichen Löffel vorlegte, riß er mir denselden schleunigst aus der Hand, ebenso rasch seine Mütze vom Kopfe, und während ich sprachlos seinem Beginnen zuschaute, reinigte er eifrig den Löffel an seinem Mützenfutter, um ihn mir dann mit freundlichem Grinsen und einem „au ise Löffel gutt, Herr Leitnant,” zu überreichen.

Diese kleine Episode wäre bald in Vergessenheit gerathen, wenn Wisniencski sich nicht bald darauf durch eine That von viel weiter tragender Bedeutung ausgezeichnet hätte.

In unserer Garnisonsstadt wohnte ein Rentier, ein früherer Gutsbesitzer von Mellenthin, der außer einer sehr bedeutenden, aus vollwichtigen Doppelkronen bestehenden Münzensammlung auch zwei liebliche Töchter besaß. Die ältere, Eugenie, hatte das Herz meines liebsten Kameraden, des Premierlieutenants v. Wintzingerode, in Bande geschlagen und die jüngere mein eigenes nicht ungerührt gelassen. Ich liebte Franziska von ganzem Herzen, und es ging mir zu nahe, als eines Nachmittags Winzingerode mit einer Leichenbittermine bei mir eintrat, sich auf das Sopha warf, daß dieses Möbel, das schon ganzen Generationen chambre garnie bedürftiger Lieutenants zum Ruheplätzchen gedient hatte, in allen Fugen erkrachte, und auf mein dringendes Befragen mir unter schweren Seufzern anvertraute, daß er bei dem alten Herrn um die Hand Eugeniens angehalten hatte und — vollständig abgefallen sei. „Ich gebe meine Töchter keinem Lieutenant!” hatte der alte Herr mit grimmiger Miene versichert, und als Wintzingerode mit Galgenhumor darauf hinwies, daß er ja nicht mehr lange Lieutenant bleiben, sondern bald Hauptmann werden müsse, hatte dies weiter keine Wirkung gehabt, als daß der alte Heir sein Anathema gegen die Lientenants auch auf die Hauptleute ausdehnte. Erst später erfuhren wir den Grund dieses Hasses: Der alte Herr war, ursprünglich auf Avancement dienend, wegen verschiedener toller Streiche nicht befördert worden. An jenem Nachmittag aber zerbrachen wir uns den Kopf über den Grund seiner Antipathie gegen zweierlei Tuch und tauschten, ohne auf Wisniencski zu achten, der sich im Zimmer zu thun machte, bittere Reflexionen über das Schicksal aus, das uns die Erfüllung unserer Herzeuswünsche versagte. Wisniencski hatte seine Thätigkeit längst beendet, der Abend dämmerte herein, wir saßen, in Trauer versunken, auf dem Sopha, da stürzte der biedere Litthauer athemlos in das Zimmer. Eben wollte ich ihm wegen seines formlosen Eintretens einen gehörigen Rüffel angedeihen lassen, da brach er, zu mir gewandt, in die Worte aus: „Ise alles gutt, Herr Leitnant, können hingehen zu altes Herr, will Ihnen geben Tochter seiniges!”

Wie aus den Wolken gefallen, saßen wir da. In mir dämmerte eine Ahnung auf.„Mensch, Wismencski!” rief ich, „was hast Du gemacht, wo bist Du gewesen?”

Er verzog seine recht breit gerathenen Sprechwerkzeuge zu einem Grinsen, das sie in freundschaftliche Nachbarschaft seiner Ohren brachte, dann begann er zu beichten:

„Bin ich gewesen bei altes Herr v. Mellenthin. Hab' ich gesagt, daß Pan Leitnant ise ein sehr gutes Mensch, was hat immer behandelt freundlich armes, dummes, litthauisches Rekrut und wird auch behandeln gutt Tochter seiniges! Hat altes Herr erst gemacht Gesicht, daß ich hab gedacht, nun geht los Donnerwetter. Hab ich gestanden still und hab gesagt: Pan Mellenthin, hab ich gesagt, ise so wie ich sag, ise Pan Leitnant meiniges serr guttes Herr, was thut nicht zu leid niemand nichts, und kann doch nicht dafür, daß ise Leitnant, wenn er doch hat gelernt weiter nichts! Hat sehr gelacht altes Herr und hat gesagt: „Ise gutt, Pollak, geh zu Leitnant Deiniges!” Hab ich gewollt sagen, daß ich nicht bin Pollak, daß ich bin Litthauer, hat er mich genommen bei Schulter und geschoben aus zur Thür, aber mit so lächerliches Gesicht, daß ich sag: „Ise gutt, Pan Leitnant, ise gutt, alles gutt!”

Wir saßen wie erstarrt, als Wisniencski diese Rede, die längste, die er in seinem Leben gehalten, beendet hatte. Dann sprang ich auf und schrie Wisnienesli an: „Mensch, Du bist ein riesengroßes Heupferd!” Er schlich betrübt hinaus, er hatte es so gut geneint! — Wir berathschlagten, was zu thun sei, und das Resultat war, daß ich mich in meinen Paradeanzug warf und zu Herrn von Mellenthin begab, um ihn um Entschuldigung zu bitten. Nach einer kurzen Unterredung war ich am Ziele meiner Wünsche! Wisniencskis Zeugniß über meinen moralischen Werth, den er noch viel mehr herausgestrichen, als er rapportiert hatte, in Verbindung mit seiner drastischen Schilderung meines Liebeskummers hatte den alten Herrn in eine so heitere Stimmung versetzt, daß, als ich ankam, die Schlacht schon halb gewonnen war. Als präsumptiver Schwiegersohn von dem alten Herrn in Gnade angenommen, legte ich natürlich schleunigst ein gutes Wort für meinen Kameraden ein, und da das Prinzip nun einmal durchlöchert war, kam es nun auf eine weitere Konzession um so weniger an, als der Töchter Thränen schon vor meiner Ankunft die Position des alten Herrn bedenklich erschütttert hatten.

Wem dankten wir unser Glück? Niemand anderem als Wisniencski, der sich auch dessen wohl bewußt ist und meinen Aeltesten, wenn er, nach beendeter Militärzeit als Diener bei mir eingetreten, mit diesem die Pferde zur Schwemme reitet, schon mindestens ein Dutzend Mal erzählt hat, daß „er hat gesagt gutt für Pan Major bei Pau Großvater, wie Pan Major ise geweseue Pan Leitnant!”

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